Quartalsbericht 4Q2020

Rückblick

Im letzten Quartal des Jahres sahen viele Akteure die Märkte weiterhin durch die rosarote Brille. Die Aktienkurse haben auf breiter Front zugelegt und dabei in vielen Fällen Rekordhöhen erreicht. Aber andererseits haben viele Unternehmen und Privathaushalte derzeit mit widrigen Umständen zu kämpfen, wie wir sie noch nie zuvor erlebt haben. Als aufmerksame Anleger müssen wir versuchen, diesen scheinbaren Widerspruch zu verstehen und einzuordnen. Wie immer sehen wir es als wichtigste Aufgabe an, die Euphorie in einigen Marktbereichen skeptisch unter die Lupe zu nehmen und uns auf unsere zentrale Verantwortung zu konzentrieren: die sorgfältige Beurteilung und vorsichtige Bewertung der Beteiligungspapiere, in die wir investieren.

Ausblick, Gedanken und Themen

Wie wir immaterielle Vermögenswerte in unserem Bewertungsprozess behandeln

Es liegt in der menschlichen Natur, nach überzeugenden Erklärungen zu suchen, um gegenwärtig beobachtete Verhaltensweisen und Phänomene rational zu begründen. In der Wirtschafts- und Finanzwelt ist dies nicht anders. Eine der häufigsten Begründungen der Marktkommentatoren für die historisch hohen Aufschläge von «Wachstumsaktien» gegenüber «Substanzwerten» (Growth- vs. Value-Investing) bezieht sich auf die finanzielle Behandlung immaterieller Vermögenswerte. Unter immateriellen Vermögenswerten verstehen wir in der Regel schwierig zu bewertende Vermögenswerte von Unternehmen wie Marken, Patente und Urheberrechte oder Softwareentwicklung. Sie können auch noch subjektivere Konzepte wie z. B. Netzwerkeffekte, die Komplexität von Lieferketten und Vertriebsnetzen, die Kompetenz der Mitarbeitenden und die Unternehmenskultur umfassen. Das Argument stützt sich im Wesentlichen darauf, dass die Bewertung von «Wachstumsunternehmen» in der digitalen und virtuellen Welt von heute auf höchst lukrativen, Cashflow generierenden immateriellen Vermögenswerten beruht. Im Gegensatz dazu werden «Value-Unternehmen» in der Regel auf der Basis ihrer schwerfälligen und teuren materiellen Vermögenswerte beurteilt. Die Schlussfolgerung lautet also, dass die weniger vermögensintensive «New Economy» im Vergleich zur «Old Economy» mit ihrer hohen Kapitalbindung in Maschinen und Anlagen weiterhin an Bedeutung gewinnen wird und der Bewertungsunterschied daher gerechtfertigt sei. Der Trend wird dann weit in die Zukunft extrapoliert, da dieser sogenannte «Cyberspace» anscheinend einen immer dominierenderen Anteil der gesamten Wirtschaftsaktivität an sich reisst.

Unsere Leser wird es vermutlich nicht überraschen, dass wir diese Ansicht nicht uneingeschränkt teilen. Dafür gibt es einen wichtigen Grund. Zu den immateriellen Vermögenswerten zählt auch der sogenannte «Goodwill», also der Geschäfts- oder Firmenwert, der sowohl im Hinblick auf die buchhalterische Behandlung als auch hinsichtlich der gängigen Verwendung viele möglichen Auslegungen zulässt. Im Grunde genommen fasst der Goodwill sämtliche Vermögenswerte, die sich oft nicht ohne Weiteres messen und quantifizieren lassen, in einer Zahl zusammen. Dabei möchten wir die potenzielle Existenz des Goodwills keineswegs bestreiten und akzeptieren durchaus, dass er tatsächlich einen hohen Wert haben kann. Robuste empirische Studien zeigen aber auch, dass sich die Aufschläge, die bei Firmenübernahmen gezahlt werden und vom Käufer als Goodwill ausgewiesen werden müssen, in der Regel als zu grosszügig berechnet herausstellen. Dadurch werden später Abschreibungen in Form von Wertberichtigungen in der Gewinn- und Verlustrechnung nötig. Daher gehen wir bei unserer eigenen Einschätzung des realistischen Werts für den Goodwill überaus konservativ vor.

Gewiss, viele unserer Unternehmen haben selbst ausserordentlich hohe und leicht identifizierbare immaterielle Vermögenswerte, zum Beispiel: ABB (Softwareentwicklung), Bunge (Vertriebskanäle), Coca-Cola Bottlers Japan (Patente und Markenstärke), Ericsson (Netzwerkeffekte), Mitsubishi Heavy Industries (Komplexität der Lieferkette), Vivendi (Urheberrechte und Lizenzgebühren, insbesondere im Zusammenhang mit dem Tochterunternehmen Universal Music Group). Dennoch handhaben wir die Bewertung immaterieller Vermögenswerte in unseren Bewertungsmodellen grundsätzlich sehr vorsichtig. Konkret gesagt rechnen wir bei der Beurteilung des Firmenwerts nur selten immaterielle Vermögenswerte explizit mit ein.

Wir sind überzeugt, dass unsere Portfoliounternehmen auch dann bedeutende Sicherheitsmargen bieten, wenn wir die immateriellen Vermögenswerte nicht direkt in unseren Bewertungsprozess einbeziehen. Wenn wir dies täten, wäre die berechnete Sicherheitsmarge natürlich noch höher als derzeit in unserem Basisszenario berücksichtigt. Daher erscheinen die Begründungen des Marktes eher überflüssig, zumindest in Bezug auf unser eigenes Anlageprogramm. Denn sie können die Bewertungsdiskrepanzen zwischen Wachstumsaktien und Substanzwerten nicht überzeugend erklären.

Zugegeben, die zur ordnungsgemässen Aufrechterhaltung der öffentlichen Infrastruktur erforderlichen materiellen Produktionsgüter und Dienstleistungen hatten in den letzten 13 Jahren keine Preissetzungsmacht. In dieser Zeit sorgte der doppelte Schlag durch die Subprimekrise und der Schuldenkrise in den Peripherieländern, gefolgt von Covid-19 dafür, dass die Regierungen weltweit damit beschäftigt waren, das Finanzsystem zu retten, das soziale Sicherheitsnetz zu unterstützen und letztlich die Konsumwirtschaft am Laufen zu halten. Trotzdem lautet einer der zentralen Grundsätze unserer allgemeinen Anlagethese, dass die materiellen Produktionsmittel wieder an Bedeutung gewinnen werden, sobald die dringenden Bemühungen zur Sanierung und Erneuerung der ins Alter gekommenen globalen physischen Infrastruktur allmählich stärker in Gang kommen. In der Debatte zwischen materiellen und immateriellen Vermögenswerten nehmen wir eine ausgewogene Haltung ein: Weder sollten die Ersteren unterschätzt noch die Letzteren überschätzt werden. Für uns lautet das Fazit, dass wir bewusst an unserem über lange Jahre bewährten unabhängigen Bewertungsprozess festhalten, statt umwälzende neuartige Theorien aufzugreifen, die einen Anlagestil gegenüber einem anderen favorisieren.

Gregor Trachsel

Chief Investment Officer SG Value Partners AG