Warum wir keinen Kontakt mit Unternehmensführungen pflegen

CIO Insights 4Q2023

Wir werden oft gefragt, ob wir bei den Unternehmen in unserem Portfolio das persönliche Gespräch mit der jeweiligen Geschäftsleitung suchen. Zu unserer Recherche gehört die Lektüre von Geschäftsberichten, die fester Bestandteil der aufsichtsrechtlichen Unterlagen sind. Gelegentlich greifen wir auch auf Transkripte von Telefonkonferenzen zurück. Aber die aktive Kommunikation und der Meinungsaustausch mit den Geschäftsleitungen gehört nicht zu unserer Praxis, und zwar vor allem aus fünf Gründen:

Erstens ist es unser Ziel, bei der Betrachtung der Vor- und Nachteile der von uns analysierten Unternehmen einen möglichst objektiven und differenzierten Standpunkt einzunehmen. Durch einen persönlichen Kontakt könnte unsere Analyse von einer unangebrachten Subjektivität getrübt werden, was einer rationalen analytischen Beurteilung im Wege stünde. Zum Beispiel tendiert jede Geschäftsleitung verständlicherweise dazu, die Aussichten für ihr Unternehmen und die Qualität ihrer professionellen Arbeit möglichst positiv darzustellen. Ausserdem sollte es für unsere grundlegende Einschätzung eines Unternehmens keine Rolle spielen, ob wir eine Geschäftsleitung "mögen" oder nicht.

Zweitens müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass es eine Sache ist, ein Unternehmen zu bewerten und eine vollkommen andere, ein Unternehmen zu leiten. Die Aufgabe der Geschäftsleitung besteht darin, das Unternehmen im Sinne aller Stakeholder durch das Alltagsgeschäft zu steuern. Der Finanzplanungsprozess umfasst dabei üblicherweise die nächsten 12 bis 36 Monate. Wir, als langfristige Aktionäre, müssen ein Urteil über den Wert einer Firma fällen, also über den Gegenwartswert des Netto-Cashflows, den es im Laufe seines Bestehens generiert. Bei der Investition in Unternehmen, wie sie für uns von Interesse sind, übersteigt daher der zeitliche Rahmen unserer Analyse häufig den Planungshorizont der aktuell verantwortlichen Geschäftsleitung.

Drittens treffen wir die überwältigende Mehrheit unserer Anlageentscheidungen in Situationen, in denen die Branchenmerkmale so ausgereift und klar sind, dass wir die Lage einschätzen können, ohne auf Erklärungen angewiesen zu sein, die über die obligatorischen Unternehmensberichte hinausgehen. Beispielsweise hängen die langfristigen Aussichten und der von uns abgeleitete Unternehmenswert von einem weltweit tätigen Hersteller von Glasflaschen, einem Entwickler von grossen Infrastrukturprojekten oder einem Stromversorger nur selten von den kurzfristigen Themen im operativen Geschäft ab, mit denen sich die Geschäftsleitung jeweils auseinandersetzen muss. Hinzu kommt, dass jede kursrelevante Information, die den langfristigen Wert eines Unternehmens beeinflussen könnte, nach den Meldepflichten für öffentlich gehandelte Unternehmen umgehend dem Markt mitgeteilt werden muss. Klar, es gibt Dinge jenseits der regelmässigen Veröffentlichungen, die wir gerne wüssten. Aber in den meisten Fällen handelt es sich dabei um Informationen, die nicht an Aussenstehende weitergegeben werden, sei es aus Wettbewerbsgründen (zum Beispiel Betriebsgeheimnisse) oder weil die massgeblichen Vorschriften dies verhindern (zum Beispiel obligatorische Sperrzeiten vor der Bekanntgabe von Quartals- oder Jahresergebnissen oder anderen wichtigen Bekanntmachungen).

Viertens nehmen wir grundsätzlich keinen aktivistischen Standpunkt ein. Anders gesagt, wir versuchen nicht, eine Geschäftsleitung zu beeinflussen, um den Aktienkurs ihres Unternehmens nach oben zu treiben. Auch wenn wir bei der Suche nach Aktien bei ihrer Beurteilung und bei unserer Bewertung von der Annahme des vollständigen Besitzes ausgehen (Privatmarktwert), sehen wir unsere Aufgabe und Rolle ausschliesslich in der eines aussenstehenden, passiven Minderheitsaktionärs. Unser formeller Austausch mit Unternehmen beschränkt sich auf den normalen Prozess der Stimmrechtsausübung, bei der wir normalerweise den Empfehlungen der Unternehmensführung folgen.

Der fünfte und letzte Grund hat seine Wurzeln in der Struktur unserer Anlagedisziplin, die auf zwei Säulen ruht: (1) der rationalen Bewertung jedes Unternehmens auf der Grundlage seiner geschätzten normalisierten langfristigen Ertragskraft und (2) dem "demokratischen", gut diversifizierten Ansatz zur Portfoliokonstruktion mit ungefähr gleichgewichteten Positionsgrössen. Angesichts dieser Methodik ist es aus statistischen Gründen unwahrscheinlich, dass aus einem regelmässigen Austausch mit den Geschäftsleitungen ein systemischer Performancevorteil gezogen werden könnte.

Als Fazit lässt sich sagen, dass es durchaus möglich ist, dass wir im Einzelfall wissenswerte Einblicke erhalten, wenn wir uns mit der Geschäftsleitung unterhalten. Im Rahmen unseres generellen Entscheidungsprozesses haben wir jedoch die Erfahrung gemacht, dass dies im Durchschnitt und im Laufe der Zeit keine zuverlässig nutzbare Renditequelle für das Portfolio darstellt.

Freundliche Grüsse

Gregor Trachsel

Chief Investment Officer SG Value Partners AG